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Montag, 24. März 2014

Flug MH 370: Das Scheitern der Moderne

Tafel der Angehörigen von Flug MH 370 - Quelle: t-online.de
Am 8. März 2014 verschwand der Malaysian Airlines Flug 370 mit Mann und Maus vom Radarschirm - und damit vom Angesicht dieser Welt. Bis heute ist das Schicksal der Boeing 777 mit ihren 239 Seelen an Bord ungeklärt. Allen Vorstellungen der modernen Überwachungswelt zum Trotz kann kein noch so versierter Experte mit Sicherheit sagen, ob die Familienangehörigen von Crew und Passagieren der Unglücksmaschine jemals erfahren werden, was an Bord schiefgegangen ist. Ein Kommentar.

Während ich diesen Artikel verfasse sitze ich in einem Hotel in Page, Arizona, vor einer malerischen Wüstenkulisse - dem Bundesstaat in den USA, in dem angehende Lufthansapiloten ihre ersten Erfahrungen im Alleinflug machen.
Zehn Tage zuvor, am 14. März, habe ich mit meinen Reisegefährten ein Flugzeug bestiegen, um den rund 13 stündigen Flug von Berlin nach San Francisco anzutreten. Das war genau fünf Tage, nachdem die Maschine der renommierten Malaysian Airways auf ihrem Flug von Kuala Lumpur nach Peking spurlos verschwunden ist. Sorgen gemacht habe ich mir nicht. Die Statistik sprach für uns. Rund 40.000 Passagierflugzeuge heben jeden Tag rund um den Globus von den Runways ab um Urlauber, Geschäftsleute und Transfergäste zu ihren angestrebten Reisezielen zu befördern. Eine Armee von Piloten, Fluglotsen, Ingenieuren, Administratoren und Kontrollbehörden arbeitet rund um die Uhr daran, den Status des Fliegens im Jahr 2014 als sicherstes Fortbewegungsmittel der Moderne zu erhalten. Zu dem Zeitpunkt, als das Bugrad unseres Airbus von der Startbahn abhob, galt es noch als höchst wahrscheinlich, dass ein terroristischer Anschlag für das Flugzeugunglück verantwortlich ist. Nach heutiger Sachlage ist diese Theorie kaum noch haltbar - was zu der Frage führt, wie es denn in drei Teufels Namen sein kann, dass ein Flugzeug samt Besatzung und Passagieren heutzutage einfach so von der Bildfläche verschwindet?

Lückenlose Überwachung? Ach, bitte!
Ich selbst bin kein Pilot - aber einer von tausenden passionierten Simulatorfliegern allein in Deutschland. Über 1000 Flugstunden habe ich schon zu Hause in meinem "Mini-Cockpit" verbracht, Flugpläne erstellt, versucht, die Physik des Fliegens zu verstehen, Instrumententafeln studiert und sogar Notfallprotokolle gelernt. Auch wenn ich noch nie am Steuerhorn einer echten Verkehrsmaschine gesessen habe, so ist mir mit der Zeit doch eines klar geworden: Eine lückenlose Überwachung des Flugverkehrs gibt es bis heute noch nicht. Das mag gerade die Menschen erstaunen, die berechtiger Weise anklagen, dass die Spionagesatelliten der NSA und anderer Bösewichte sogar Nummernschilder "aus dem Weltraum" lesen können. 
Dennoch sind in weiten Teilen dieser Erde die Lufträume kaum kontrolliert. Die endlosen Weiten des pazifischen und indischen Ozeans sind hier nur ein Beispiel. Auch bei einem Flug über Zentralafrika oder der Mongolei beschränkt sich die Überwachung der zum Teil spärlich gesäten Bodenkontrollen auf ein kurzes An- und Abmelden der jeweiligen Luftfahrzeuge. Die kontinuierliche Satellitenüberwachung von Verkehrsmaschinen ist zwar möglich, aber ein sehr teures Unterfangen, und die Airlines setzen lieber auf die technische Verbesserung der Unterhaltungsmedien an Bord als auf den Einbau eines Sicherheitsmoduls wie dem ADS-B-Signalgeber, der durchgängige Funksignale mit Kennung, Flugplan und Geschwindigkeit aussendet. Selbst nach dem Absturz der des Air-France-Airbus (AF 447) über dem Atlantik im Jahr 2009 wurde das System nicht flächendeckend eingeführt - die Kosten-Nutzen-Rechnung war einfach zu schlecht. Ein typisches Problem unserer Zeit: Möglich ist viel... wenn es jemand gibt, der es bezahlen kann, oder will.

Wir waren's nicht!
Auf eine höchst zynische Weise amüsiert hat mich die Reaktion der Taliban, die sich nach den andauernden Terrorvorwürfen genötigt sahen, eine offizielle Pressemitteilung zu dem Unglück zu verlautbaren. Ein Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: "Wir wünschten uns eine Gelegenheit, so ein Flugzeug zu entführen, aber das liegt außerhalb unserer Möglichkeiten. Es ist außerhalb von Afghanistan passiert und es ist offensichtlich, dass nicht einmal Länder mit fortschrittlichen Einrichtungen und Ausrüstung herauskriegen, wohin es geflogen ist." Heutzutage müssen sich die Terroristen anscheinend fast entschuldigen, wenn sie einmal für ein Unglück nicht verantwortlich gemacht werden können. Schöne neue Welt.
Und die beiden Männer mit den gefälschten Pässen? Nun, die beiden Iraner Puria Nurmohammadi und Sejed Mohammed Reza Delawar, so ihre "echten Namen" wollten nach neustem Kenntnisstand der Ermittlungsbehörden ihre gefälschten Identitäten nutzen, um in fremden Ländern ein neues Leben zu beginnen. Nurmohammadis Mutter, die zusammen mit dessen jüngerem Bruder in lebt Hamburg lebt, wollte ihren Sohn in Frankfurt am Flughafen abholen. Kurz zuvor hatte der den Quellen nach zufolge 19 jährige Mann noch Reisemitbringsel in einem Shoppingcenter in Kuala Lumpur gekauft. Selbst für die zum Teil verquer anmutende Denkweise von Topterroristen scheint das ein idiotischer Plan, wenn man vorhat, die Flugreise tödlich im Meer enden zu lassen.
Ansonsten reichen die Theorien über den Unglücksflug von einer desaströsen Kette technischen Versagens über Selbstmordabsichten des/der Piloten bis hin zur (wer hätt's gedacht?) Entführung durch Außerirdische. Ich persönlich glaube kaum, dass die grünen Männchen den Stress einer Weltraumreise auf sich genommen haben um eine malayische Passagiermaschine zu klauen. Ebensowenig plausibel klingt die Theorie vom Selbstmord: Zwar gibt es in der bisherigen Luftfahrtsgeschichte zwei umstrittene Fälle, in denen ein Pilot alle seine Fluggäste absichtlich mit in den Tod gerissen hat, aber jedes Mal crashte die Maschine unmittelbar nach dem Start. Welcher Selbstmörder, so verzweifelt er auch sein mag, lässt eine Maschine nach mehreren Kurswechseln über den Ozean fliegen, bis nach sieben Stunden endlich der Sprit ausgeht?

Kein Terror, keine Absicht, was war es dann?
Das ist die 1 Million Euro Frage, über die sich hunderte von Experten gerade die klugen Köpfe zerbrechen. Am wahrscheinlichsten gilt die Theorie eines Kabelbrandes unterhalb des Cockpits, der die Kommunikationssysteme und den Transponder ausgeschaltet hat und anschließend zu mehreren Kurzschlüssen und vermutlich einem Feuer an Bord geführt hat. Solch ein Szenario ist hochgefährlich, wenn auch extrem unwahrscheinlich. Innerhalb kürzester Zeit könnte sich das Cockpit mit Rauch gefüllt haben, so dass die Piloten nur noch sehr wenig Zeit zum reagieren hatten - wenn sie überhaupt noch etwas ausrichten konnten. Immer wieder wird in den Medien angeführt, dass der Co-Pilot Fariq Abdul Hamid, 27, erst im Februar seine Berechtigung erhielt, eine Boeing 777 zu fliegen, also quasi ein "Frischling" in dem Flugzeug war und demnach noch unerfahren. Ich möchte an dieser Stelle auf den Piloten Jeffrey B. Skiles verweisen, dessen schneller und effizienter Einsatz als Co-Pilot dazu geführt hat, dass Captain Sullenberger den US Airways Flug 1549 mehr oder weniger sanft auf dem Hudson River aufsetzen konnte. Skiles hatte erst ein paar Wochen vor dem Unglück seine Fluglizenz für den Airbus A320 erhalten, was dazu führte, dass er die Notfallprotokolle der Maschine fast auswendig beherrschte. Ohne sein frisch erlerntes Wissen hätte das "Miracle on the Hudson" vielleicht einen anderen Ausgang genommen.

No Closure? Ever?
Wenn man sich in die Schicksale der Menschen an Bord und deren Angehörigen hineinversetzt, läuft es einem kalt den Rücken herunter. Nicht nur, weil hier vermutlich 239 Menschen auf einen Schlag ihr Leben gelassen haben - sondern weil es vielleicht niemals möglich sein wird zu verstehen, was an Bord der Maschine wirklich passiert ist. Selbst wenn die Blackbox und der Voice Recorder in der unwirtlichen See der "Roaring Forties", wie die Seefahrer das Gebiet südlich des 40sten Breitengrades nennen, geborgen werden können, nimmt die Sprachaufzeichnung doch nur die letzten zwei Stunden vor dem endgültigen Absturz auf. Alles was davor geschah wird überschrieben. Zu diesem Zeitpunkt waren die Piloten aber vielleicht schon lange bewusstlos oder sogar tot. Die Blackbox gibt zwar Auskunft über Fluglage und Kurs, aber wenn die Maschine tatsächlich im indischen Ozean gefunden wird, kann das schon vorher errechnet werden. 
Im Englischen spricht man von "Closure", dem Abschluss, der einem bei der Bewältigung der Trauer hilft. Den Familien der Opfer wird diese endgültige Erkenntnis, was an Bord wirklich vor sich gegangen ist, vielleicht für immer verweigert werden - trotz aller technischen Errungenschaften und Hilfsmittel. Ein weiteres mal ist die Moderne an sich selbst gescheitert. Traurig, aber leider wahr.

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